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12.10.2020 | Rahel Künzler
Der Klimawandel bringt das Timing in der Natur durcheinander. Das bekommen auch Rehkitze zu spüren. Ihre Mütter brauchen junge, frische Pflanzen, um gute Milch zu machen. Jetzt wachsen die Pflanzen im Frühling aber immer früher. Die Rehkitze kommen also erst dann zur Welt, wenn das Futter schon nicht mehr so frisch ist.
Gut versteckt im hohen Gras bekommen Rehmütter von Ende April bis Mitte Juli ihre Jungen. Dabei ist gutes Timing gefragt: Junge Gräser und Kräuter sind gut verdaulich und liefern besonders viele Nährstoffe für gute Muttermilch. Wegen dem Klimawandel beginnt das Pflanzenwachstum aber jedes Jahr früher, während die Rehmütter ihre Jungen immer noch zur gleichen Zeit zur Welt bringen. Das haben Kurt Bollmann und Maik Rehnus, Wildtierbiologen an der WSL, herausgefunden. Die beiden haben sich deshalb gefragt, ob die Rehmütter auch in Zukunft genügend Jungpflanzen als Futter finden werden.
Weisse Tupfen verraten Alter
Doch wie bestimmt man überhaupt den Geburtstag der wildlebenden Rehkitze? Dabei konnte den WSL-Forschenden das Projekt «Rehkitzmarkierung Schweiz» helfen. In diesem suchen Jäger und Wildhüter aus verschiedenen Kantonen jeden Frühling nach Rehkitzen und markieren sie mit Ohrmarken, damit sie ihr späteres Leben verfolgen können. Der Jäger kann das ungefähre Geburtsdatum am Gewicht und vor allem an den Tupfen im Fell schätzen. Die weissen Tupfen auf dem Rücken der Rehkitze sind bei der Geburt noch dunkel umrandet. Dieser Ring verschwindet nach ein bis zwei Wochen. Von 1971 bis 2015 wurden so insgesamt 8983 Rehkitze gefunden und gemeldet.
Rehe nur noch in den Bergen?
Maik und Kurt sammelten die Geburtsdaten aller Rehkitze in einem Jahr und verglichen sie mit dem Beginn des Pflanzenwachstums im Frühling. Dies machten sie für jedes Jahr von 1971 bis 2015. Das Resultat war deutlich: Im Jahr 2015 begannen die Pflanzen wegen dem Klimawandel 14 bis 20 Tage früher zu wachsen als 44 Jahre zuvor. Die Rehkitze kamen jedoch nur knapp drei Tage früher zur Welt.
Haben die Rehmütter also schon heute zu wenig junges Grün zu fressen? Kurt Bollmann meint: «Die Bauern säen übers ganze Jahr hinweg immer wieder neue Futterpflanzen. Die Rehmütter finden deshalb auf den Feldern noch genügend Jungpflanzen.» Über die Jahre hinweg könnten sich die Rehe aber langsam in die Berge zurückziehen. Dort beginnen die Pflanzen später zu wachsen und das Futterangebot passt besser mit dem Geburtstermin der Rehkitze überein. Es deshalb sein, dass deine Kinder und Enkel seltener Rehe im Mittelland beobachten können als du heute.